Regie-Statement von Jan Schomburg
Die erste Annäherung an die Geschichte von ÜBER UNS DAS ALL waren ein Interesse und in gewisser Hinsicht auch eine Faszination für Situationen im Leben, in denen unvermittelt die komplette Vergangenheit sich umdeutet, in denen alles, was man für unumstößlich hielt, zu einer vagen, formlosen Masse wird. Dieser plötzliche neue Blick auf die Vergangenheit, auf die Liebe, auf die eigene Wahrnehmung. Die Verunsicherung angesichts des Zusammenbruchs der unmittelbarsten Gewissheiten des eigenen Selbst, diese unvorstellbare Perspektivverschiebung. Unter anderem deswegen ist ÜBER UNS DAS ALL ein Film geworden, der sehr von unterschiedlichen Perspektiven geprägt ist. Nicht nur die Perspektivverschiebung über das Vergangene spielt dabei eine Rolle, in das mit der Hauptfigur auch der Zuschauer gerät.
Mit dem radikalen Wechsel in der Mitte des Films, wenn die Erzählperspektive unvermittelt von Martha auf Alexander übertragen wird, möchte ich die Möglichkeit geben, die Hauptfigur Martha noch mal neu, aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. In der langen Zeit, in der ich ÜBER UNS DAS ALL entwickelt habe, ist neben dem Motiv des heimlichen Doppellebens ein weiteres Motiv in die Geschichte getreten: Als ich mich gefragt habe, wie jemand umgeht mit einem abrupten Ende einer Liebe, habe ich gemerkt, dass ich am ehesten wissen wollte, wie eine neue Liebesbeziehung aussehen könnte. Lässt sich ein Mensch, den man geliebt hat, durch einen anderen ersetzen? Kann man einen Menschen so sehr vermissen, dass man ihn in jemand anderem wieder entdeckt? Kann die Sehnsucht nach einer vergangenen Liebe eine neue erzeugen?
Der Titel ÜBER UNS DAS ALL ist dabei fast so alt wie das Projekt selbst und mir über die Jahre ebenso wie die Figuren immer mehr ans Herz gewachsen. Der Gedanke, dass sich über dem eigenen Kopf ein ganzes Weltall befindet, gefällt mir; und dass sich über jedem unserer Köpfe ein endloser Raum aufbaut, illustriert unsere Einsamkeit wie unsere Gemeinsamkeit.
Jan Schomburg